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Fränkische Nachrichten, 4. Januar 2012 |
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Die Grenzen des musikalisch Machbaren ausgelotet |
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Konzertreihe “Beethoven in Mergentheim” |
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Bad Mergentheim. Zehn Sekunden Stille, nachdem der letzte Takt des “Dona nobis pacem” verklungen war, dann minutenlange stehende Ovationen in der voll besetzten Schlosskirche - die Reaktionen sprachen für sich und waren zugleich hochverdienter Lohn für eine künstlerische Gesamt- und Gemeinschaftsleistung, wie man sie an diesem Ort noch selten oder nie zu hören bekommen hatte. Kein geringeres Werk als die “Missa solemnis” hatten sich die vereinigten Chöre von Cappella Nova Mergentheim und Collegium Vocale Schwäbisch Gmünd unter ihren beiden Chorleitern Erhard Rommel und Johannes Beck als Abschlussveranstaltung der erfolgreich verlaufenen Konzertreihe “Beethoven in Mergentheim” vorgenommen, und natürlich waren sich alle Beteiligten der enormen Herausforderung bewusst, die mit der Erarbeitung und Realisierung eines der absoluten Gipfelwerke der abendländischen Musikgeschichte verbunden war. Sie wurde - im Verein mit dem Instrumentalensemble der Süddeutschen Kammersolisten und vier hochkarätigen Gesangssolisten - wahrlich bewundernswert gemeistert und diese Aufführung zu einem Ereignis, das einerseits Ausführende wie Zuhörer immer mal wieder an ihre Grenzen führte, andererseits an tiefer und nachhaltiger Wirkung kaum Vergleichbares aufwies. Dass auch bei dieser zweiten Aufführung der Missa solemnis (nach der Premiere in Schwäbisch Gmünd) anders als vorgesehen nicht Erhard Rommel selbst sondern sein Kollege Walter Johannes Beck das Ensemble in der Schlosskirche leitete, war bedingt durch einen Mangel an notwendiger Probenzeit im Verein mit Termindruck und geschah in vollem Einverständnis mit den “Cappella Nova”-Mitwirkenden. Über die “Missa solemnis” op. 123, das im Zeitraum zwischen 1819 - 23 entstandene, dem Erzherzog Rudolf von Österreich gewidmete Spätwerk des zu dieser Zeit bereits völlig ertaubten Komponisten kann man eigentlich kaum anders als in Superlativen sprechen, einschließlich des Elements von Fragwürdigkeit, das mit diesem Begriff ebenfalls verbunden ist. Wie in anderen exemplarischen Werken seines letzten Jahrzehnts scheint der durch sein Schicksal tief Vereinsamte hier mit letzter Konsequenz die Grenzen des musikalisch Sagbaren ausloten zu wollen. Diese Musik ist nicht nur in höchstem Maße kühn, erfindungsreich und eigenwillig, sie geht auch immer wieder rücksichtslos ins Extrem. Auch als Nachgeborener (und wie mehr noch Beethovens Zeitgenossen!) ist man zuweilen versucht, den Kopf zu schütteln über das, was der Komponist - etwa in den Schlussfugen des “Gloria” und noch mehr des “Credo” - seinen Choristen zumutet, wie er seine vier Vokalsolisten in einen permanenten, expressiv-dynamischen Wettstreit mit Chor und Orchester treibt, wie er die vokalen und instrumentalen Stimmen zu einem Gewebe von fast erdrückender Dichte und Komplexität verarbeitet und damit die Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft auch der willigsten Hörer strapaziert. Mag hier auch eine taubheitsbedingte Entfremdung von den natürlichen Gegebenheiten des Musikmachens und -hörens eine Rolle gespielt haben, so spürt man dennoch: Die Wahl extremer Mittel ist bei Beethoven - anders als oft später in der musikalischen Moderne - nie Selbstzweck, sondern steht immer im Dienst höherer Zwecke, der unbedingten Steigerung des subjektiven Ausdrucks und der persönlichen Aussage, die praktisch jeden Takt des gewaltigen Werkes von über eineinhalbstündiger Aufführungsdauer prägt. So ist es auch müßig, darüber zu spekulieren, inwieweit diese Vertonung überkommener katholischer Liturgie ein echtes Zeugnis der persönlichen (Recht)gläubigkeit ihres katholisch getauften Schöpfers ist; sie ist in jedem Fall das künstlerische Vermächtnis eines tiefreligiösen Menschen, der darin mit letzter Ernsthaftigkeit nach Grund und Ziel seines bzw. des menschlichen Daseins überhaupt fragt. Mit disponierender Kraft, bewundernswerter Präzision und im Geist einer unbedingten, leidenschaftlichen Hingabe an die Ausnahmeanforderungen des Werks gelang es den vereinten Kräften der von Johannes Beck überaus engagiert und mit vollem Körpereinsatz geleiteten Chöre Collegium Vocale und Cappella Nova, der vielfach bewährten süddeutschen Kammersolisten und - las but not least - vier jungen, hochkarätigen Gesangssolisten der “Missa” in der Schlosskirche eine gültige Gestalt zu geben. Das vom Umfang eher bescheidene Kammerorchester stellte für den Raum eine immer noch mehr als hinreichende Klangfülle zur Verfügung, und ermöglichte andererseits soviel Durchhörbarkeit, ließ den Stimmen der Choristen soviel Entfaltungsmöglichkeit, wie unter den gegebenen Umständen möglich war. Mit seiner ganzen moderaten, expressiv differenzierten, bei entscheidenden Stellen aber durchaus explosiv hervorbrechenden Dynamik unterstützte Johannes Beck dieses Streben nach Transparenz, die jedoch nicht auf Kosten der Tiefe und Ausdrucksstärke ging, die ein prägendes Merkmal dieser Aufführung war. Höhepunkte wie etwa das glanzvolle Finale des “Gloria”, das a-capella gesungene, entrückte “Resurrexit” und die - freilich hart ans Limit gehende - Monstrefuge des “Credo”, die wundervoll innige Zwiesprache von Solovioline (Albert Boesen) und Gesangsquartett im Andante des “Benedictus” und die ergreifend intensive abschließende Friedensbitte werden noch lange im Gedächtnis bleiben. Wahrlich bewundernswert auch die Leistungen von Sopranistin Angelika Lenter, Altistin Ines Schumacher, Bassist Andreas beinhauer und Tenor Johannes Glaubitz, die sich mit ihren jugendlichen Stimmen souverän und glanzvoll gegen die geballten Klangmassen von Doppelchor und Orchester zu behaupten verstanden. |
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