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Fränkische Nachrichten, 18.10.2022 |
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Jubelchöre und jubelndes Publikum |
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Aufführung in der Schlosskirche: Haydns Oratorium “Die Schöpfung” |
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Wenn ein Dirigent sich vor den ersten Takten an das Publikum wendet, muss es einen besonderen Grund geben. Tatsächlich hing die Aufführung des bahnbrechenden Oratoriums „Die Schöpfung“ von Joseph Haydn in der Bad Mergentheimer Schlosskirche an einem seidenen Faden. Professor Karl Rathgeber, der vor vier Jahren die Leitung des Chor Cappella Nova übernommen hatte, teilte mit, das Corona-Virus habe noch vor einer Woche acht von 23 Orchestermusikern und neun von 35 Chormitgliedern außer Gefecht gesetzt. Fast ein Wunder also, dass die Aufführung dennoch gerettet werden konnte. Auch dank der Sopranistin Anna Feith, die kurzfristig für die im Programmheft noch angekündigte Solistin Anna Nesyba eingesprungen war, konnte der Vater von drei diplomierten Opern- und Konzertsängern die Früchte seiner sorgsamen Einstudierung von Joseph Haydns Meisterwerk ernten. Das erhabene Loblied auf die Erschaffung unserer Erde als ein Zeugnis aufklärerischen Geistes in der Musik verkündeten mit dem Chor das Solisten-Trio Anna Feith, aus der Rathgeber-Familie der Tenor Christian und der Bassist Felix sowie das Main-Barockorchester Frankfurt. Es wurde ein fesselnder Abend, der den Zuhörern in der gut besuchten Schlosskirche noch lange in Erinnerung bleiben dürfte. Vom Chaos zur Ordnung Angesichts des Klimawandels und der zunehmenden Erwärmung der Erde löste das 1741 von Haydn komponierte Oratorium zwiespältige Empfindungen aus. Einerseits war man beeindruckt von Haydns Schilderung des grenzenlos Chaotischen vor Gottes Schöpfungstat, die mit dem unfassbar klaren Durchbruch des Sonnenlichts aus der Finsternis ihren Anfang nahm. Das Tohuwabohu wurde mit auf- und abwallenden Bewegungen, dissonanter Harmonik und melodisch ungeformten Motiven sowie disparaten Klangfarben einprägsam dargestellt. Andererseits wirkte die vorbehaltlose Dankbarkeit für die unfassbare Erschaffung des menschlichen Lebensraumes edel, naiv und beschämend zugleich. Aus heutiger Sicht hätte die alttestamentarische Aufforderung umgedeutet werden müssen: „Macht euch der (statt: die) Erde untertan“. Haydn dürfte ansatzweise nicht geahnt haben, dass es der Erde inzwischen ohne Menschen besser gehen würde. Hätte der Komponist sonst mit dieser kraftvoll-unprätentiösen Lautmalerei über die Sonne, den Regen, den Schnee und die tierischen Geschöpfe Gottes komponieren können? Als sein Oratorium 1799 im Wiener Burgtheater mit 180 Mitwirkenden uraufgeführt wurde, lebten knapp 800 Millionen Menschen auf der Erde. Seitdem stieg die Weltbevölkerungszahl um das Zehnfache auf fast acht Milliarden. Der Zeitgeist der Aufklärung Mitte des 18. Jahrhunderts verlangte nach Ordnung und Vernunft, die mit dem Licht in die Welt kamen. Joseph Haydn und Baron van Swieten als Librettist waren sich einig, den mündigen Menschen ohne Sündenfall und Schuld in den Fokus ihrer Schöpfungsgeschichte zu stellen. Immerhin spricht Erzengel Uriel im letzten Rezitativ die Warnung an Eva und Adam aus, sich nicht von falschem Wahn verführen zu lassen, „noch mehr zu wünschen als ihr habt...“ Geschmeidige Stimmen Das Libretto verbindet biblische Texte aus dem Johannes-Evangelium und den Psalmen mit Anregungen aus dem religiösen Epos „The Paradise Lost“ von John Milton. Wenn Adam seine Eva auffordert: „Komm, folge mir, ich leite dich“, war dies in der Menschheitsgeschichte eher der unheilvolle Appell von Chauvinisten. Auch wenn die Texte nicht der ganz große Wurf sind: Sie sind zeitgeschichtlich zu verorten, nur für die Musik geschaffen und lassen sich nur mit ihr würdigen. Die Solisten repräsentierten drei Erzengel, die über die sechs Tage der Schöpfung berichten und das Geschehen kommentieren: Die Rolle von Gabriel (und Eva) füllte Anna Feith mit einem immens aufblühendem Sopran und zurückhaltend eingesetzten Vibrato aus. Bereits 2016 war sie in diesen Rollen in der Stiftskirche Wertheim zu erleben. Christian Rathgeber sang den Erzengel Uriel mit einer tragfähigen und zugleicht elegant-geschmeidigen Stimme. Sein Bruder Felix füllte die Rollen des Raphael und Adam mit einem voluminösen Bass voller Farbschattierungen intensiv aus. Dem Main-Barockorchester Frankfurt merkte man nur bei der etwas zaghaft vorgetragenen Ouvertüre der Fassung von Joe Hickman mit reduzierter Bläserbesetzung die coronabedingten Umbesetzungen an. Unter dem zupackenden Dirigat von Karl Rathgeber wurde dann in den Tonmalereien ohne Gesangsbegleitung der musikalische Aufgang der Sonne, die Beschreibung des Chaos, rollender Donner, erquickender Regen oder die Erschaffung der Tierwelt mit Fischen, Vögeln und Landtieren einprägsam geschildert. Majestätisch schwebend gefiel besonders der Flug des Adlers. Erst dann war es an den drei Erzengeln Gabriel, Uriel und Raphael, die Schöpfungsleistung zu loben; gesteigert noch am Ende jedes Schöpfungstages in monumentalen Chorpassagen. Die Texte waren sehr übersichtlich und komplett im Programmheft mitzulesen. Nach der knapp zweistündigen Aufführung wurde die außergewöhnliche, von hingebungsvollem Engagement getragene Gesamtleistung aller Mitwirkenden mit mehrminütigen Standing Ovations gefeiert. Felix Röttger |
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